05. Juli 2012
Energiestrategie 2050 und deren Massnahmen
Ausgangslage
Eine zukunftsweisende Energie- und Stromversorgungspolitik ist zentral für die Prosperität der Wirtschaft und damit der Gesellschaft. Umso wichtiger ist eine frühzeitige und korrekte Weichenstellung. So können negative volkswirtschaftliche Folgen minimiert und Planungs- und Rechtssicherheit gewährleistet werden. Diese Chance bietet sich nun mit dem Beschluss des Bundes, eine neue Stromversorgungspolitik anzugehen. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist dabei zentrales Element und zugleich grösste Herausforderung. Mit dem im April 2012 von Bundesrätin Leuthard vorgestellten Massnahmenpaket soll der erste Schritt auf dem Weg in eine neue Stromversorgungszukunft getan werden. Um diesen Weg erfolgreich zu beschreiten, braucht es von allen Seiten ein dezidiertes Engagement – von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nur wenn alle am gleichen Strang ziehen und ein gemeinsames Verständnis für die zukünftige Entwicklung besteht, lässt sich die Wende realisieren.
Mit diesem Themendossier will die Handelskammer ihre Position zur Stromversorgungspolitik vom Juli 2011 (Anhang C) vertiefen und ihren Beitrag zu einer vernünftigen und tragbaren Umsetzung der Energiepolitik leisten sowie eine Bewertung der im ersten Paket vorgeschlagenen Massnahmen aus Sicht der Wirtschaft abgeben.
Auszug aus dem Positionspapier Stromversorgungspolitik vom 6. Juli 2011
Die Handelskammer beider Basel steht für gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ein und sieht den richtigen Weg darin, die Versorgung in einer Gesamtstrategie anzugehen. Dazu gehört auch die Risikobeurteilung aller Aspekte. Sie forderte deshalb insbesondere Folgendes:
- Gewährleistung einer sicheren und ausreichenden Stromversorgung;
- Gewährleistung der Betriebssicherheit heutiger und zukünftiger Kernenergieanlagen;
- Garantie eines wirtschaftsverträglichen und konkurrenzfähigen Strompreises;
- Ablösung der heutigen Kernenergietechnologie zugunsten neuer, nachhaltiger Technologien. Darunter sind sowohl erneuerbare Energien wie auch neue Kernenergietechnologien zu verstehen;
- Nutzung der Grosskraftwerkstechnologie (heutige Kernkraft und Gaskombikraftwerke) als Überbrückungslösung.
Energiestrategie 2050
Inhalt
Am 25. Mai 2011 beschloss der Bundesrat, dass er “in der Schweiz weiterhin eine hohe Stromversorgungssicherheit garantieren [will] – mittelfristig jedoch ohne Kernenergie. […]. Die bestehenden Kernkraftwerke sollen am Ende ihrer Betriebsdauer stillgelegt und nicht durch neue Kernkraftwerke ersetzt werden.” (Medienmitteilung des UVEK vom 25.05.2011). Eine Verlängerung der Betriebsbewilligung ist demnach nicht vorgesehen. Ab 2017 werden zusätzlich die Bezugsrechte für französischen Strom, der primär aus Kernenergie gewonnen wird, stufenweise auslaufen. Bis 2031 enden die massgeblichen Importverträge, für vernachlässigbare Mengen sind Verträge bis 2037 vereinbart.
Um die wegfallenden Erzeugungskapazitäten zu kompensieren, entwickelt der Bundesrat eine Energiestrategie 2050 die auf folgenden Pfeilern basiert:
- verstärkte Einsparungen (Energieeffizienz);
- Ausbau der Wasserkraft und der neuen erneuerbaren Energien;
- wenn nötig Rückgriff auf fossile Stromproduktion (Wärmekraftkopplungsanlagen, Gaskombikraftwerke);
- Beibehaltung von Stromimporten;
- rascher Ausbau der Stromnetze und Verstärkung der Energieforschung.
Beurteilung aus Sicht der Wirtschaft
Fortführung der Vier-Säulen-Strategie macht Sinn
Die vier Säulen, auf welchen die Energiestrategie 2050 aufbaut, sind unbestritten (Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Grosskraftwerke und Energieaussenpolitik). Einzig der Vorbehalt, bei Bedarf auf fossile Stromproduktion zurückgreifen zu können, bietet Konfliktpotenzial, da dies vor allem umweltpolitische Probleme bereitet.
Datenmaterial lückenhaft
Es besteht die Befürchtung, dass die Energiestrategie auf lückenhaftem Datenmaterial fusst. Dadurch werden die Zukunftsprognosen verzerrt, und einige daraus gezogene Schlussfolgerungen können in Frage gestellt werden. Dies zeigt sich unter anderem in dem am 18. April 2012 vorgestellten ersten Massnahmenpaket, welches die volkswirtschaftlichen Folgen verharmlost.
Netzausbau ungenügend berücksichtigt
Der Netzausbau findet in ungenügender Form Eingang in die Energiestrategie. Der zeitliche Horizont, das Stromversorgungsnetz für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten, ist knapp, und die Topologie des bestehenden Netzes stösst heute schon an seine Grenzen. Die benötigten finanziellen Mittel, das Netz aufzurüsten, sind beachtlich – sie belaufen sich laut Schätzungen des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) in den kommenden 20 Jahren allein für die Netzmodernisierung und -ergänzung auf ca. 6 Milliarden Franken. In diesem Zusammenhang gilt es, die volkswirtschaftlichen Kosten eines Stromausfalls zu beachten – mithin das grösste Risiko im Elektrizitätsnetz. Der Bundesrat hat in einer Studie einen eintägigen Ausfall mit einem volkswirtschaftlichen Schaden von 12 bis 42 Milliarden Franken beziffert.
Gas-und-Dampf-Kombikraftwerke (GuD) problematisch
Gaskombikraftwerke bergen unter den aktuellen bzw. geplanten Rahmenbedingungen betreffend CO2-Emissionen ein nicht zu vernachlässigendes finanzielles Risiko. Aufgrund der Kompensationsmechanismen ist nicht auszuschliessen, dass GuD durch massive Subventionierungen gestützt werden müssen.
Umsetzung unklar
In der Retrospektive kann nach über einem Jahr durchaus der Schluss gezogen werden, dass die Neuausrichtung der Stromversorgung der Schweiz übereilt in Angriff genommen wurde. Stellenweise ist diese visionär und somit nicht immer strategisch erarbeitet. Politisch wie auch gesellschaftlich herrscht noch kein gemeinsames Verständnis über das weitere Vorgehen.
Massnahmen zur Energiestrategie 2050
Methodik
Für die Analyse der Massnahmen wurde folgendes Vorgehen gewählt:
- Festlegung der zu beurteilenden Massnahmen basierend auf deren wirtschaftlichen und regionalen Relevanz für den Raum Basel;
- Festlegung einer Anzahl Kriterien anhand derer die Massnahmen im Einzelnen beurteilt werden;
- Beurteilung der Massnahmen (Anhang A).
Erstes Massnahmenpaket – Chancen und Risiken
Am 18. April 2012 präsentierte Bundesrätin Doris Leuthard ein erstes Massnahmenpaket zur Umsetzung der Energiestrategie 2050. Basierend auf diesem Paket sollen Verfassungs- und Gesetzesänderungen vorgenommen und die Umsetzung der Strategie begonnen werden. Eine Reihe von Massnahmen aus der Skizze des Aktionsplans Energiestrategie 2050 wurden in das erste Massnahmenpaket aufgenommen (siehe oben). Aus Sicht der Wirtschaft bestehen in diesem Paket für die Umsetzung einige Problemfelder, die im Folgenden beleuchtet werden.
Übergreifende Massnahmen sind zu unterstützen
Diejenigen Massnahmen, welche übergreifend wirken (z.B. die Bildungsinitiative im Energiebereich oder die Verstärkung und der Ausbau des Programms EnergieSchweiz), sind unabdingbar für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiestrategie und werden unterstützt.
Bei den Gebäuden besteht noch Potenzial
In der Schweiz besteht ein grosser Anteil alter und älterer Gebäude, welche mit gezielten Massnahmen einen Beitrag zur Reduktion des Energieverbrauchs beitragen können. Deshalb machen beispielsweise die Einführung eines Beitrages für Ersatzbauten oder die Pflicht zur Einhaltung der SIA Norm Sinn.
Die erneuerbaren Energien sind zu fördern
Um die Abhängigkeit von Kernenergie und Stromimporten zu minimieren und die Umweltfreundlichkeit der Energieversorgung zu steigern, ist der Umstieg auf erneuerbare Energieträger in möglichst vielen Bereichen nötig. Mit den vorgeschlagenen Massnahmen wird ein Schritt in diese Richtung getan, was begrüsst wird.
Begrüssenswerte Ansätze in den Bereichen Mobilität und Abgaben
Über verschärfte Zielwerte für Personenwagen soll im Bereich Mobilität der Trend verstärkt in Richtung umweltfreundliche Fahrzeuge gelenkt werden. Ein helvetischer Alleingang mit diesen Zielwerten ist allerdings zu vermeiden. Eine Erhöhung der Globalbeiträge zur Unterstützung der kantonalen Förderprogramme ist zielgerichtet und effizient. Lediglich die Kostenneutralität ist zu gewährleisten, um regionale Unleichgewichte nicht zu akzentuieren.
Erleichterung Kraftwerksbau nötig
Die geplanten Massnahmen sollen den Bau von Kraftwerken und speziell jene für erneuerbare Energien erleichtern. Damit wird eine grosse Hürde abgebaut, um das Potenzial der erneuerbaren Energien auszubauen.
Netze bleiben die Achillesferse der zukünftigen Stromversorgung
Im Bereich Netze sind einige Massnahmen geplant, die den Netzausbau vorantreiben sollen. Allerdings tragen diese dem Ausmass und dem Stellenwert des Netzes nicht in genügender Weise Rechnung.
Erfolge der Industrie sollen weitergeführt werden
Die Leistungen der Industrie, welche über freiwillige Vereinbarungen massgeblich zur Energieeinsparung und Umweltfreundlichkeit beigetragen haben, sollen gezielt weitergeführt werden. Mit dieser Massnahme wird dem Rechnung getragen.
Datenmaterial lückenhaft
Das Faktenblatt vom 18. April 2012 des UVEK präsentiert auf Seite 2 eine Grafik (Anhang B) über die Zusammensetzung des Elektrizitätsangebots bis 2050 auf Basis des vorliegenden Massnahmenpakets. Entsprechend der Legende wird das hydrologische Jahr dargestellt, welches vom 1. Oktober bis 30. September des Folgejahres geht. Die Versorgungsprobleme der Schweiz treten jedoch im Winterhalbjahr auf. Demnach vermittelt diese Grafik ein falsches Bild. Da die Massnahmen des ersten Paketes somit auf optimistischen Angaben beruhen, lässt sich deren Zielführung zumindest teilweise in Frage stellen.
Potenzial der Wasserkraft überbewertet
Laut Faktenblatt des UVEK sollen gut 10 TWh Strom in neuen Wasserkraftwerken produziert werden. Dies ist fast dreimal so viel wie das Zusatzpotenzial (3,2 TWh) seitens des BFE aktuell eingeschätzt wird. Es stellt sich die Frage, wie dieses Planungsdefizit kompensiert werden soll.
Zu viele Gaskombikraftwerke benötigt
Setzt man ein GuD von der Leistung des geplanten Kraftwerks in Chavalon voraus (2 TWh Jahresproduktion bei 400MW Leistung), ergeben sich entsprechend der Darstellung im Faktenblatt folgende Anzahl benötigter Kraftwerke: ein Kraftwerk bis 2020 und sechs Kraftwerke bis 2033, welche ab dann bis 2050 auf etwa drei bis vier Kraftwerke reduziert werden. Allerdings macht das UVEK diese Annahmen klar davon abhängig, wie sich Wirtschaft und Gesellschaft verhalten. Die Notwendigkeit erhöhter Importe oder weiterer GuD-Bauten rückt damit in den Bereich des durchaus Möglichen. Dies liegt vor allem darin begründet, dass in der präsentierten Grafik davon ausgegangen wird, dass die Stromnachfrage ab 2019 nicht mehr zunimmt.
CO2-Problematik verschärft sich durch GuD
Der Bundesrat will klar an der 100-Prozent-Befreiung von der CO2-Abgabe für GuD-Betreiber festhalten. Mit dem nach heutigen Möglichkeiten bestehenden Kompensationspotential lässt sich jedoch allenfalls ein einziges GuD kompensieren. Das Potenzial liegt etwa bei geschätzten 1,2 Millionen Tonnen CO2, demgegenüber stehen ca. 0,75 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eines GuD. Die Anbindung an das europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) ist noch weit von der Realisierung entfernt, und GuD-Betreiber würden selbst dann immer noch zu einer inländischen Kompensation von mindestens 50 Prozent verpflichtet sein.
Energie und Strom eng verbunden
Mit der angestrebten Reduktion der fossilen Anteile am Energiemix wird automatisch der Kompensationsbedarf mittels Strom erhöht. Denn zumindest nach heutigem Kenntnisstand existiert kein anderer Energieträger, der die fossilen Energieträger sinnvoll zu ersetzen vermag. Zusammen mit dem Rückbau der KKW, den notwendigen Stromimporten und dem Bau von GuD erden dadurch die CO2-belasteten Anteile im Gesamtenergiemix grösser.
Grenzkosten bergen Konfliktpotenzial
Mit dem ersten Massnahmenpaket schlägt der Bundesrat leicht umsetzbare Massnahmen vorpolitisch wie auch technisch. Dass man dadurch bei zukünftigen Paketen immer mehr in den Bereich schwierig umsetzbarer Massnahmen kommt, erklärt sich von selbst. Gezwungenermassen steigen dadurch auch die Grenzkosten überproportional, was einer Mehrbelastung sowohl für Wirtschaft wie auch Private bedeutet. Damit einher geht eine sinkende Bereitschaft diese Massnahmen umzusetzen. Eine intensive staatliche Intervention oder Regulierung könnte die Folge sein, was unerwünscht ist.
Forderungen
Die Handelskammer beider Basel fordert die Umsetzung der von ihr unterstützten Massnahmen.
Zur Realisierung jeglicher Massnahmen sind folgende fünf Eckpfeiler zu berücksichtigen:
- Freiwilligkeit; Es soll kein Zwang bestehen, irgendwelche Massnahmen umsetzen zu müssen. Den Betroffenen sind stattdessen Anreize zu setzen oder Hilfestellungen zu geben.
- Vernünftige Finanzierung; Die Finanzierungsmodelle müssen sich an den Grundsätzen der Zweckgebundenheit sowie der Kostenneutralität orientieren. Eine zusätzliche finanzielle Belastung der Unternehmen ist zu vermeiden oder allenfalls möglichst gering zu halten.
- Wirtschaftlichkeit; Oberstes Gebot muss die Wirtschaftlichkeit bleiben. Darunter sind unter anderem die Kosten-Nutzen-Verhältnisse wie auch die Rentabilität zu verstehen.
- Energetische Relevanz; Die Massnahmen müssen nachweislich eine Wirkung auf die Effizienzsteigerung, Reduktion des Energieverbrauchs und/oder marktaffine Entwicklung der Technologien haben.
- Keine Alleingänge; Die umzusetzenden Massnahmen müssen mit den bestehenden europäischen und internationalen Praktiken kompatibel sein. Ein Vorpreschen im Alleingang ist zu vermeiden.
Des Weiteren fordert die Handelskammer beider Basel
- saubere Bilanzen aller verfügbaren Energieträger, insbesondere jene des Importstroms, um sicher zu stellen, dass die Massnahme dem Klimaschutz dient;
- eine Roadmap mit Milestones, die der Energiestrategie 2050 sowie deren Massnahmen entspricht. Eine solche Roadmap muss 5, 10, 20 und 30 Jahre vorausschauen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass nichts oder entschieden zu wenig passiert;
- dass die Stromversorgungsinfrastruktur sowie die Netze aufgerüstet oder umgebaut werden, um die Umsetzung der Massnahmen zu stützen.
Downloads
Positionspapier Stromversorgungspolitik vom 07.07.2011 | Ergänzungsfolien zum Positionspapier Stromversorgungspolitik vom 07.07.2011 |
Bereichsleiter Raumplanung, Energie & Umwelt
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